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Farbe und ihre Wahrnehmung

Georges Althaus
Georges Althaus
Farbe ist Luxus für das Auge, Schwinggabel der Gefühle, Grundlage für die Kunst. Was, wenn sie uns abhandenkommt?

Was ist Farbe?

Das war mir völlig unverständlich, damals in der Grundschule, zweite Klasse: meine Pultnachbarin behauptete, die Blume vor ihr sei orangefarben, wo sie für mich doch eindeutig rot war. Ich weiss nicht, wer von uns beiden recht hatte, aber leise Zweifel beschleichen mich noch heute beim Betrachten einer Rose: rot oder orange. Oder doch eher…?

 

Wir haben leider eine beschränkte Begabung, Farben zu erfassen. Ich kann also die Farbe Rot nicht wörtlich beschreiben, ich kann nur auf andere Dinge zeigen, die – für mich jedenfalls – ebenfalls rot sind: Rotwein etwa oder Rotkraut.

 

Dabei ist uns Farbigkeit überaus wichtig, alles soll bitte farbenfroh und poppig sein, leuchten soll es. Blumige Werbesprüche und grelle Werbeplakate umgeben uns, wir benutzen viele bunte Adjektive und farbige Sprachbilder und können damit rotsehen oder schwarzmalen oder blaumachen. Lieber bunter Hund oder graue Maus?

Farbe ist überlebenswichtig

Auch handfeste Argumente aus der Verhaltensforschung unterstreichen die Wichtigkeit der Fähigkeit, Farben sehen und empfinden zu können: wenn’s um das Bestehen in der Natur geht, ist das Farbensehen kein Luxus der Sinne, sondern ein Überlebensmechanismus, der vor allem bei der Suche nach Nahrung hilft. Menschen und andere Primaten haben diese Gabe entwickelt, weil unsere Vorfahren beobachten mussten, wie essbare Pflanzen heranreiften und vor welchen Pflanzen und Tieren sie sich hüten mussten.

Der Drei-Farben-Mensch

Wenn alles normal ist, besitzt der «trichromatische» Mensch – und sein nächster Verwandter, der Affe – drei Farbrezeptoren in der Netzhaut des Auges. Damit kann er blaue, grüne und rote Lichtsignale auseinanderhalten und über zwei Millionen Farbtöne wahrnehmen. Ganz schön bunt also.

 

Alle anderen Säugetiere – also auch alle unsere Haustiere – verfügen als «Dichromaten» nur über zwei Farbsinneszellen: sie können nur Blau und Gelb unterscheiden. Und diese Farbsehschwäche gibt es auch bei etwa neun Prozent der Männer und bei weniger als einem Prozent der Frauen: sie können mindestens eine der drei Farbkomponenten nicht wahrnehmen, meist ist die Rot-Grün-Empfindung gestört.

 

Die Störung kann aber sogar bis zur totalen Farbenblindheit gehen, Betroffene sehen dann lediglich Schwarz, Weiss und Graustufen.

Ein Leben als Dichromat:in

Eine Farbsehschwäche ist fast immer eine genetische und angeborene Anomalie der Netzhaut, sie ist nicht heilbar und kaum zu korrigieren. Brillen oder Kontaktlinsen mit bestimmten Farbfiltern können das Farbensehen eventuell verbessern und getönte Brillengläser eine mögliche Lichtempfindlichkeit lindern, aber allzu viel dürfen sich Betroffene nicht erhoffen.

 

Allerdings lässt sich mit einer Farbenfehlsichtigkeit eigentlich ganz gut leben, oft fällt sie einer betroffenen Person gar nicht auf, da sie ja eigentlich nicht wissen kann, wie dreifarbiges Sehen geht. Erst ein Blick auf eine Ishihara-Farbtafel kann dann eine Farbfehlsichtigkeit zu Tage fördern.

Natürlich kann es vorkommen, dass Fehlsichtige vor einer freien Toilettenkabine stehen und denken, die kleine Scheibe zeige auf Rot. Und auch einen freien Parkplatz im Parkhaus mit LED-Anzeige finden sie nicht ohne weiteres, weil sie nicht erkennen können, ob das Lämpchen nun rot oder grün leuchtet. Aber alles halb so schlimm.

 

Und immerhin: heutzutage müssen wir Früchte und Beeren ja nicht mehr über deren Farbe nach essbar oder giftig unterscheiden.

Farbiges Wissen

  • Rot, Blau und Gelb sind die Grundfarben. Diese drei Farben lassen sich nicht durch Farbmischungen erzielen. Wenn diese drei Primärfarben miteinander gemischt werden, entstehen alle anderen Farben.
  • Der Schweizer Johannes Itten war Meister am Bauhaus Weimar und entwickelte in den 1920er-Jahren eine Theorie der Farbenlehre, basierend auf den drei Grundfarben Rot, Blau und Gelb.
  • Die Retina – die Netzhaut des Auges – besteht aus vier Arten von Sinneszellen, die Licht in Nervenzell-Impulse umwandeln können. Neben den Stäbchen, die für die Hell-Dunkel-Differenzierung zuständig sind, gibt es drei Zapfen-Zellen, die jeweils auf das Licht einer bestimmten Wellenlänge bzw. Farbe reagieren.
  • Das menschliche Auge kann rund 200 verschiedene Farbtöne differenzieren. Für jeden Farbton kann man ausserdem bis zu 500 Helligkeitsabstufungen unterscheiden. Für jeden dieser rund 100.000 Farbtöne kann das Auge noch rund 20 verschiedene Weissabstufungen unterscheiden (z.B. Rot > Rosa). In der Summe kommt man so auf rund 2 Mio. Farben.
  • Theoretisch gibt es unendlich viele Farbabstufungen.
  • Farben werden durch unser Gehirn als visuelle Eindrücke erzeugt. In der Natur gibt es diese Farben, wie wir sie wahrnehmen, überhaupt nicht.
  • Farben beeinflussen unser Temperaturempfinden: bei «warmen» Farben steigt unsere Körpertemperatur an, bei «kalten» Farben (zum Beispiel in einem Raum) frieren wir schneller.
  • Synästhesie: Es gibt Menschen, die Töne hören und gleichzeitig Farben sehen. Oder sie sehen Farben und haben einen besonderen Geschmack im Mund. Oder der Mittwoch ist rot, die Zahl eins weiss, die Stimme der Schwester türkis.
  • „Die Farbe hat mich. (...) Sie hat mich für immer. (…) ich und die Farbe sind eins. Ich bin Maler.“ Dies hält Paul Klee auf seiner Tunisreise 1914 in seinem Tagebuch fest.
  • Schwarz ist keine Farbe, sondern die Abwesenheit von Licht. Weiss enthält demgegenüber alle Farben des sichtbaren Lichtspektrums.
  • Das Unternehmen Pantone definiert einen Katalog für Farben. Das Pantone Matching System enthält 2161 Sonderfarben. Die Farbe des Jahres 2022 heisst Very Peri und trägt die Nummernbezeichnung Pantone 17-3938.

Farbe des Jahres 2022: Very Peri

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